In Progress

29/03/2007

Ein Ritt um den Globus mündet in einen schwergewichtigen Bildband
Von Richard Rabensaat

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Richard Rabensaat wrote a nice critic (in german) about the bastard-book in kunst-blog.

Bastard: Choose my Identity heißt das Buch. Tja, das ist wohl auch notwendig - eine Identität wählen: Denn wie ein rechter Bastard, eine Chimäre - zusammengesetzt aus verschiedenen Identitäten - kommt der Band daher. Orangerot leuchtet der Einband.
Der Umschlag ist ein Druckexperiment und existiert in sehr vielen verschiedenen Farben. Darauf prangt ein weißes Emblem, ein Scherenschnitt, eine Fratze, nicht eindeutig als Mensch oder Tier erkennbar. Die Personalität des Buches offenbart sich erst im Zusammenhang der Bilder, Fotos und Zeichen. Bezeichnender und Bezeichnetes verschwimmen im Reigen der Symbole und Bilder. „Identity, every day, ride, play, home, religion und talk“ sind die Brandings, nach denen das Buch sich gliedert. Es entsteht ein wilder Mix aus Prosa, Poesie, Zeichnungen und Fotos, zusammen gesammelt rund um den Globus.
Ein papiernes Amalgam aus Wortfetzen, Gedichten, Erfahrungen und poetischen Sentenzen entsteht. Eine CD mit Jpgs und zwei Songs begleitet die globale Tour de Force. Sechs Megacities in 21 Tagen, das war das Programm. „Es ging uns um Tradition, Reizüberflutung, Vernetzung, Mischung, Sampling, Geschwindigkeit und Schlafentzug“, erklärt André Rösler, einer der Initiator des Projektes. Die anderen sind Christian Ernst, Lars Harmsen und Ulrich Weiss. Zu dritt, ein Grafiker, ein Fotograf und ein Illustrator, bereisten sie 2005 die Welt. Dann kondensierten sie aus dem visuellen und emotionalen Overkill an High-Speed Impressionen einen Bildband, der die Zeichensysteme einer aus den globalisierten Fugen geratenen Welt versammelt. „No Stop any time“ schreit ein kleiner, dreckiger Bastard in die Turbinenröhre eines Flugzeuges und huscht davon, schnell wie die Zeichen und Bilder des Buches. Die permanente Geschwindigkeit, die Zerteilung der eigenen Person im Fluss der strömenden, sich ballenden und dann wieder auflösenden Menschenmassen zieht sich durch das Buch.
Ebenso wichtiger Teil des Reisens ist allerdings der Stillstand. „Most of my treasured memories of travel are recollections of sitting“, stellt die Bildinschrift einer gelangweilten Menschenansammlung in einer Wartehalle ungefähr in der Mitte der Reise fest. Am Anfang des Kompendiums gibt Rüdiger John den Ton mit einem Essay über die Schwierigkeiten der Identitätsfindung im globalisierten Kapitalismus vor. „Der Prozess der Globalisierung beinhaltet nicht die Entwicklung von Sicherheit und persönlicher Freiheit … Aktionäre fühlen sich nicht wie Eigentümer mit Verpflichtungen, sondern wie Kapitalgeber in einem permanenten Transitstadium“, formuliert John. Wohl wahr, Kapitalinteressen kennen keine Grenzen, transnationale Produktionszyklen intendieren uniforme Gesellschaften aus gesichtslosen Konsumenten. Dennoch blicken uns aus dem „Bastard“ individuelle Gesichter entgegen: die großen, fragenden Augen einer jungen Frau, das von struwelligen Haaren eingerahmte Gesicht eines Mädchens im Ringelpullover.
Was die Autoren hier zwischen den Buchdeckeln gebündelt haben, gab es schon einmal – als Film. „Koyannisqatis – Leben aus dem Gleichgewicht“ war der Titel des Projektes von Godfrey Reggio, das seinen visuellen Sog aus der Verbindung von Bild und Musik bezog. Philipp Glass lieferte einen großartigen minimalistischen Sound, der schließlich die Hektik der Welt in einer glühenden Raumkapsel implodieren ließ. Glass und Reggio schufen eine Symphonie der strömenden Menschenkaskaden, in dem der einzelne sein Gesicht verlor. Er wurde zum ornamentalen Teil eines immer schneller fließenden Stroms. Hier aber streckt uns der „Bastard“ schon einmal frech die Zunge heraus, während die weiße Silhouette eines Gringos durch das Foto einer Spielplatzrutsche hoppelt. Und die Reise geht unermüdlich weiter. Der Gedanke des Reisens als Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung durch die Erfahrung des Fremden begleitete Dürer auf seiner Italienreise und Bruce Chatwin durch „sein Patagonien“. Bei der Reise des globalisierten Bastard von heute verschwimmen die kulturellen Unterschiede im Glissando der Lichter, Gesichter und weltweit aufblinkenden Icons.

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